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Manès Sperber 1983: “Antiamerikanismus ist aggressive Undankbarkeit”

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Manès Sperber 1983: “Antiamerikanismus ist aggressive Undankbarkeit”

Es gibt kein rundes Jahrestags-Datum dafür, aber doch genügend aktuellen Anlass, daran zu erinern: 1983 wurde der Schriftsteller Manès Sperber mit dem Friedenspreis des deutschen Buchhandels geehrt – unter wütendem Protest aus den Reihen der “Friedensbewegung” und der Grünen. Denn Sperber nutzte seine (von seinem Laudator Siegfried Lenz anstelle des wegen Kankheit abwesenden Freundes verlesene) Preisrede dazu, vor der Entwaffnung Europas gegenüber dem sowjetischen Totalitarismus zu warnen. Und das gerade, weil ihm jeglicher Krieg zutiefst verhasst war – seine Familie hatte schon 1916 vor dem Kriegschehen in ihrer ukrainischen Heimat flüchten müssen. Seine Mahnung, dass es jedoch eine Illusion sei, man könne den Frieden durch Nachgiebigkeit gegenüber der Erpressung von Aggressoren sichern, ist heute so aktuell wie damals.

Sie ist die Essenz reicher und schmerzhafter Erfahrung eines Lebens im Zeichen rassischer wie politischer  Verfolgung durch zwei mörderische totalitäre Systeme. Der großartige Manés Sperber kommt mir immer wieder in den Sinn, wenn Putin-Trolle, Islamistenversteher und andere glühende Liebhaber des Weltfriedens von links wie rechts mal wieder jeden als “Kriegshetzer” brandmarken, der sich angesichts neuer Bedrohungen für die Stärkung der Verteidigungsfähigkeit der freien Welt einsetzt. Die wenigsten Zeitgenossen wissen, dass es sich bei dieser Denunziationsvokabel um einen Nazi-Begriff handelt, der von den Propagandisten des roten Imperialismus freudig übernommen wurde (oder war es umgekehrt?). Nichts an Aktualität verloren hat leider auch die Kritik dieses konsequenten jüdischen Humanisten am grassierenden europäischen Antiamerikanismus.

Aus Sperbers Rede:

“In den 30er Jahren wurde meinesgleichen von Goebbels und seinen Tintenkulis als Kriegshetzer beschimpft, sooft wir davor warnten, den stetig wachsenden Forderungen Hitlers nachzugeben und durch Kapitulation am Ende den Krieg unvermeidlich zu machen. Und nun leben wir seit Jahrzehnten in der Ära pseudo-ideologischer Erpresser. Jeder aber sollte wissen, daß Erpresser um so mehr verlangen und um so bedrohlicher werden, je öfter man ihnen nachgegeben hat.

(…)

Wer jedoch glaubt und glauben machen will, daß ein waffenloses, neutrales, kapitulierendes Europa für alle Zukunft des Friedens sicher sein kann, der irrt sich und führt andere in die Irre. Wer für die Kapitulation vor jenem bedrohlichen Imperium eintritt, das seit dem Zweiten Weltkrieg mehrere europäische Staaten in Satelliten verwandelt hat, irrt sich und führt andere in die Irre.

(…)

Und nun noch zwei Nachbemerkungen: die erste bezieht sich auf die Amerikafeindschaft vieler Europäer, auf ihre aggressive Undankbarkeit, die wohl die niederträchtigste Form individueller wie nationaler Selbstbehauptung ist. Jene, für welche die europäische Kultur mehr ist als ein beinahe unerträglicher Überanspruch; für jene, die mit allen Fibern am geistigen Reichtum Europas hängen, bleibt der Unterschied zwischen diesem alten Kontinent und dem Amerika von heute, jener alten europäischen Kolonie, sehr bedeutsam. Es geht da kaum um Wertung oder Entwertung, sondern vielmehr um eine Identitätsfrage. Weder Russland noch Amerika wären geworden, was sie sind, wenn Europa ihnen während langer Jahre nicht als Vorbild, als geistige Heimstätte oder als abschreckendes Beispiel gedient hätte. Wer nun behauptet, daß Europa heute durch die Vereinigten Staaten von Amerika gleichermaßen wie durch das sowjetische Imperium gefährdet wird, ist in meinen Augen durch aggressive Undankbarkeit verblendet. Andererseits ist es wahr, daß Europa seinen Schutz nur deneigenen Kräften und keiner Supermacht anvertrauen darf.”

Die gesamte Dankesrede Manès Sperbers sowie die Laudatio von Siegfried Lenz finden Sie hier.

Manès Sperber wurde 1905 in Sabolotow, einem jüdischen Schtetl in der Westukraine geboren. Seine Familie flüchtete im Ersten Weltkrieg nach Wien. Schon im Alter von 16 Jahren wurde Sperber durch die Bekanntschaft mit Alfred Adler, dem Begründer der vergleichenden Individualpsychologie, geprägt. Er entschied sich für ein Psychologiestudium und beschäftigte sich fortan vor allem mit der Frage nach Macht und Gewalt. Zwischen 1927 und 1933 lehrte der damals überzeugte Kommunist an verschiedenen Hochschulen in Berlin. 1933 muss er vor der einsetzenden Judenverfolgung in Deutschland fliehen und gelangt über Jugoslawien und die Schweiz nach Paris. Angesichts der stalinistischen Säuberungsprozesse wandte er sich 1937 vom Marxismus-Leninismus ab.   Als französischer Soldat nahm er am Zweiten Weltkrieg teil und flüchtete nach der Niederlage Frankreichs in die Schweiz. 1950 erschien sein erster Roman “Der verbrannte Dornbusch” – als erster Teil der autobiografisch geprägten Trilogie “Wie eine Träne im Ozean” -, der seinen literarischen Ruhm begründete. Als skeptischer Humanist und unerbittlicher Kritiker totalitärer Systeme wurde Sperber einem großen Publikum bekannt. 1950 war er Mitbegründer des Kongresses für kulturelle Freiheit, einem Zusammenschluss liberaler Intellektueller, die sich gegen die Gleichschaltung des Denkens und der Kunst durch die kommunistische Ideologie wandten. Manès Sperber starb am 5. Februar 1984 in Paris im Alter von 78 Jahren. (Ausführlicheres zu seiner Biografie und seinem Werk hier.)

Korrektur: Leser Hans-Rudolf Schiesser weist dankenswerterweise darauf hin, dass die Rede Sperbers nicht von dem Laudator Siegfried Lenz verlesen wurde, sondern von Alfred Grosser (von Grosser in seinen besseren Tagen, nebenbei bemerkt, als er noch nicht, wie neuerdings, von der “Israelkritik” besessen war…). Ich bitte den Fehler zu entschuldigen.

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